
Branchenexperten diskutierten beim „MCS Convenience Campus“ Ende Oktober innovative Ansätze für neue Einkaufserlebnisse, mehr Digitalisierung und stärkere Kundenbindung, um Tankstellen besser als Nahversorger mit starkem Fokus auf Convenience zu platzieren. Herausforderungen durch verändertes Kaufverhalten könne durch kluge Ansätze erfolgreich begegnet und Umsätze gesteigert werden.
Der erste „MCS Convenience Campus“ seit 2018 fand Ende Oktober in Fulda statt. Die Kundenveranstaltung für 170 Teilnehmer aus den Bereichen Tankstelle und Travel Retail gab Einblicke in zukünftige Anforderungen, Trends und praktische Lösungen im Shop. Dabei wollte Gastgeber Torsten Eichinger, Geschäftsführer der „MCS-Gruppe“, gleich zu Beginn mit einer alarmierenden Zahl wachrütteln: „Ganze 51 Prozent der Tankkunden kaufen nichts im Shop.“ Umsatz lasse sich durch veränderte Platzierung und schnellere Anpassung an aktuelles Kaufverhalten leichter einlösen, versprach Eichinger. Zudem gelte es, Marktanteile auch gegen die wachsende Konkurrenz der Smart Stores zu sichern und vom Wettbewerb zu lernen.
1. Smarte Nahversorger
So warnte Reiner Graul, Geschäftsführer der Unternehmensberatung „Bormann & Gordon“, vor der wachsenden Bedeutung der Smart Stores. „Diese Shops sind pure Convenience. Davon sollten Tankstellen schnellstmöglich lernen.“ Experte Dr. Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel stimmte zu und ergänzte: „Obwohl Angebote wie „Teo“ von „Tegut“ noch eine Nische besetzen, kann sich das rasch verändern. Länderspezifischen Gesetze zu Ladenöffnungszeiten sowie komplexe Genehmigungsverfahren bremsen die Entwicklung aktuell.“ Vor allem im ländlichen Raum sei die Versorgungslücke groß und die Nachfrage daher hoch. Den Leerstand ehemaliger Geschäfte nutzten nun Anbieter wie „Tante Enso“. Dabei waren sich die Experten in der für Tankstellen notwendigen Transformation zum Nahversorger einig. Aus dem bisherigen „Tanken mit Kaufoption“ müsse ein bequemes und umfangreiches „Kaufangebot mit Tankoption“ werden. Große Vollsortimenter mit Ladesäulen machten das bereits vor. „Vergleichen Sie ihr Angebot mit den besten Alternativen in der Umgebung. Nicht nur mit anderen Tankstellen“, mahnte Christian Warning, Geschäftsführer bei „The Retail Marketeers“.
2. Erlebniseinkauf schaffen
Außerdem machte Warning auf veränderte Ansprüche der Kunden aufmerksam: „Moderne Tankstellen müssen weg von ‚Gas, Coke and Smoke‘. Gefragt sind erlebnisorientierte Einkaufswelten.“ Als Vorbilder dienten Fallbeispiele internationaler Marktteilnehmer. So verändere eine im Eingangsbereich platzierte Auslage mit „Fresh Food“ wie Obst Stimmung der Kunden und sorge für einen Halo-Effekt. Die folglich veränderte Wahrnehmung des Verkaufsraums habe in der Folge zu steigendem Absatz bei Sandwiches geführt. Den Unterschied könnten auch tadellos hygienische Sanitäranlagen machen und damit im Kopf des Kunden ein Alleinstellungsmerkmal verankern, versprach Warning. Dies sorge am richtigen Standort für die notwendige Frequenz. Wie unterschiedlich allerdings die Anforderungen an verschiedene Standorte sein können, wusste Patricia Frank. „Es gibt nicht das eine gute Sortiment. Die Zusammenstellung variiert regional und im Unterschied zwischen Stadt und Land“, so die Leiterin Category Development bei Mars. Generell erwarte der moderne Kunde jedoch eine angenehme Atmosphäre und Abwechslung beim Einkauf.
3. Generation Z
Taktgeber für neue Einkaufserlebnisse seien vor allem junge und trendbewusste Konsumenten. Urs Meier, COO bei „Garden of Youth“, gab Einblicke in seine Generation und erklärte die neuen Ansprüche und Interessen einer wachsenden Kundengruppe. „Die Generation Z ist sehr heterogen. Die Festlegung auf den klassischen Käufer ist kaum möglich“, so Meier. Moderne Medien erzeugten unterschiedliche Informationsblasen. Der dezentrale Informationsfluss biete aber auch Vorteile: „Etwa 60 Prozent der Nutzer sozialer Medien kreieren selbst Inhalte. Trends entstehen heute aus der Community und werden nicht mehr allein durch Handelsmarken gesteuert“, erklärte Meier. Wer kurzfristige Trendbewegungen bediene, habe gute Umsatzchancen. Oft hingen diese Hype-Produkte mit bekannten Internetpersönlichkeiten zusammen und hätten nur einen kurzen Produktlebenszyklus. Im Unterschied dazu gäbe es außerdem eine wachsende Zahl junger Startups mit Fokus auf langfristiger Markenbildung. Ziel dieser Marken, wie „Rob‘s Chips“ oder „Heyyy Gums“ sei es, disruptiv Nischen zu besetzen, die von etablierten Herstellern bisher übersehen wurden.
4. Sortiment neu denken
Nachfrage und Kaufverhalten unterliegen in allen Kundengruppen saisonalen, aber auch generellen Veränderungen. Potenziale im Sortiment sollten kurzfristig erkannt und bedient werden, riet Torsten Eichinger. „Berliner oder Krapfen sind im Vorjahr um 26 Prozent gewachsen und entwickeln sich zum Ganzjahresartikel. Die Nachfrage bei Cookies stieg sogar um 72 Prozent. Als Package-Deal mit Kaffee ein optimaler Umsatzbringer.“ Die Notwendigkeit diese Chancen zu erkennen, betonte auch Sabine Schossmeier, zuständig für Category Development bei Diageo. So hätten Premix- und Ready-to-Drink Getränke (RTD) seit 2020 um 216 Prozent zugelegt. Der Discount habe teilweise das Presseregal zugunsten dieser Angebote ersetzt und mache den Tankstellen dieses Steckenpferd nun strittig. Zielgruppe sei preisbedingt der Premium-Shopper zwischen 40 und 49 Jahre mit einem Haushaltseinkommen zwischen 2000 und 2500 Euro pro Monat. Auch alkoholfreie Mocktails machten laut Schossmeier weiter an Boden gut. „RTDs sind zu 65 Prozent ein Impulskauf und werden am selben Abend verzehrt“, erklärte Schossmeier. „Am POS sollten wir Saisonhöhepunkte wie Silvester, Karneval oder Vatertag noch mehr zelebriert.“
5. Platzierung geschickter gestalten
Unerlässlich sei zudem laut vieler Branchenexperten die Aktivierung durch Platzierung. „Was Umsatz bringt, muss in die Kassenzone“, betonte Torsten Eichinger. Hidden Champions, wie „Kinder Maxi King“, „Kinder Pinguí“ und „Milchschnitte“ würden im Kühlregal leider oft übersehen. Zudem seien diese Produkte bereits durch Fernsehwerbung vorverkauft und damit besonders attraktiv als Impulskauf. „Wer schnell drehende Produkte nicht an die Kasse bringt, lässt Umsatz liegen“, so Eichinger. Patricia Frank ergänzte: „Die Kassenzone sorgt für 75 Prozent des Umsatzes auf drei Prozent der Fläche. Sie ist der kleinste gemeinsame Nenner in jedem Customer Journey.“ Was nicht gesehen wird, werde nicht gekauft. Zudem sorge logische Zweitplatzierung ebenfalls für Impulskäufe. Reiner Graul ermutigte ebenfalls zu einem gesamtheitlichen Store-Konzept mit übersichtlicher Warengruppenstruktur, damit Kunden sich schnell und einfach zurechtfinden.
6. Impulse durch Promotions und Preis
Der gewünschte Kaufimpuls ließe sich auch durch Preisstruktur steuern, mahnte Graul und wies auf eine aktuelle Entwicklung hin: „Der Warenkorbwert ist gestiegen. Inflationsbereinigt stagniert jedoch der Absatz. Die Frequenz im Shop ist zurückgegangen.“ Als Grund identifizierte Graul die seit 2022 unbewegte Preisschwelle und eine folglich massive Teuerungswahrnehmung der Käufer. Begegnen könne man dieser Wahrnehmung durch gezielte Sonderangebote und dynamisches Pricing. Die klassischen Hebel wie Zweitplatzierung, Bundles, Package-Deals oder 2 für 1 Aktionen funktionierten weiterhin und sollten genutzt werden. Aktuell besuchten lediglich 26 Prozent der Kunden den Shop ohne vorherigen Tankanlass und diese Zahl sei sogar rückläufig. Der oft beschworene Blick zum Wettbewerb dürfe also auch die Preisgestaltung nicht unberührt lassen, forderte Reiner Graul und resümierte: „Die Tankstelle bleibt der Notfall für den Einkauf.“ Wer sich zukünftig als Nahversorger etablieren möchte, sollte hier also noch genauer hinschauen.
7. Digitalisierung und Marketing am POS
Gerade einmal 100 Sekunden verbringe der Kunde durchschnittlich im Shop. Das sei Zeit, die intensiv genutzt werden sollte, bekräftigte Torsten Eichinger. Retail Media müsse hier noch zielgerichteter und anschaulicher eingesetzt werden. Christian Warning ergänzte: „Was sich nicht bewegt, wird nicht gesehen. Licht zieht Blicke an.“ Werbegelder verlagerten sich aktuell immer stärker an den POS. Das gelte es zu nutzen und beginne bereits beim Anfahren an die Tankstelle: „Wir müssen draußen bereits zeigen, was drinnen los ist“, so Warning. Jeder Moment des Wartens müsse zum möglichen Kaufimpuls führen. Das gelte für den Tankvorgang an der Ladesäule, aber vor allem für die Kassenzone. Großes Potenzial prognostizierte er zudem der Implementierung von Order-Terminals. Sie sparten Personal ein, generierten Daten zum Kaufverhalten und steigerten Kauflust und Kundenzufriedenheit. Ebenfalls vielversprechend seien Self-Checkout-Systeme mit automatischer Produkterkennung. Als Beispiel nannte Warning die Systeme vom Hersteller „Mashgin“, welche aktuell bereits bei Circle K eingesetzt werden.
8. Keine Angst vor Zukunft
Digitalisierung, Neuorientierung im Sortiment und die Konkurrenz durch Smart Stores seien große Herausforderungen, eröffneten aber auch ungeahnte Möglichkeiten, da waren sich alle Experten einig. Wichtig seien die aufmerksame Beobachtung des direkten und indirekten Wettbewerbs sowie mehr Dynamik in der Auswahl des Sortiments. Die eigenen Stärken solle man dennoch weiter ausspielen, ermutigte Christian Warning zum Abschluss: „Die Tankstelle bleibt Wachstumsmarkt und erfreut sich hoher Loyalität beim Kunden. So haben 78 Prozent der Deutschen eine Lieblingstankstelle.“ Die persönliche Kundenbindung unterstrich Service Performance Beraterin Sabine Hübner mit einem Hinweis zur Identität der eigenen Marke: „Der menschliche Moment wird im digitalen Zeitalter seltener und hinterlässt daher einen sehr bleibenden Eindruck. Ehrlicher Kundenservice und Authentizität zahlen am Ende mehr auf die Außenwahrnehmung ein als bloß makellose Ausstattung.“
Text: Willy Laux