Die Welt ist im Wandel und die Tankstellenbranche ebenso. Was bedeutet es, wenn große MÖGs ihre Tankstellennetze verkaufen und welche Kraftstoffe werden wir in Zukunft tanken? Die „tankstelle“ fragte dies und mehr Daniel Kaddik, Geschäftsführer beim „Bundesverband freier Tankstellen“ (bft).
Herr Kaddik, was sind für Sie die größten Herausforderungen für den Tankstellenmarkt in Deutschland?
Es kommt ein wahrer Tsunami an Veränderungen auf die Branche zu, der es noch sehr gut geht. Wir müssen es schaffen, gegen die Einmischung der Politik Elektromobilität als Geschäftsmodell zu etablieren. Während die Nachfrage zwar stetig steigt, sollen wir massiv in Vorleistung gehen und haben gleichzeitig mit neuen Konkurrenzen zu kämpfen, die sich ihrerseits am Markt behaupten wollen. Hinzu kommt das Tauziehen um die Nutzung und die Verfügbarkeit synthetischer Kraftstoffe und das als Verbrennerverbot bezeichnete geplante Verbot von Neuzulassungen von Verbrennern ab 2035. Wenn hier nicht bald gesunder Menschenverstand einsetzt, werden sowohl Klimaziele als auch Arbeitsplätze und Akzeptanz der Verkehrswende deutlich leiden.
Beides zusammen wird zu einer Marktkonsolidierung führen müssen. Wir werden also mit einem deutlichen Standortwettbewerb und der Aufgabe von Standorten rechnen können, was wiederum Einfluss auf die Versorgungssicherheit hat. Das wird eingerahmt von politischer Volatilität und Aktionismus, deren Spitze mit dem spontanen Auslaufen der Förderung der E-Autos 2023 erreicht wurde. Hinzu kommen immer neue Idee zu Berichtsplichten und administrativen Hürden. Es ist schwierig längerfristig zu planen, wenn es immer wieder neue Gesetze und Verordnungen gibt, das schafft keine Konstanz, sondern Unsicherheit.
Und dennoch: Tankstelle hat Zukunft! Es ist viel Bewegung im Markt, wie der anstehende Verkauf der Jet-Tankstellen oder zu Beginn des Jahres der Verkauf von “TotalEnergies“ an “Circle K“ zeigen. Es gibt also große Investoren an das Geschäftsfeld glauben. Das Modell muss sich aber ändern. Wir müssen uns verändern – weg von Kraftstoff, Kippen und Kaffee und hin zu Reisezentren als ganzheitliche Mobilitätsanbieter. Neue Shop- und Conveniencekonzepte sind gefordert, die auf sich verändernde Kundenwünsche eingehen und auch den Preis im Auge haben. Und wir können Innovation. Der Mittelstand ist modern aufgestellt, wir waren eine der ersten bei der Markteinführung von HVO und trotz enormer Kosten werden natürlich Ladesäulen gebaut. Wir verstehen uns als Teil der Lösung auf dem Weg zur treibhausgasneutralen Mobilität. Gemeinsam mit unseren Partnern von den Konzernen sehen wir einer spannenden Zeit entgegen.
Alternative Kraftstoffe
Welche Entwicklung prognostizieren Sie für alternative Kraftstoffe wie HVO100 für die nächsten zehn Jahre?
Bei Mitgliedern, die HVO eigeführt haben, macht dieser teilweise bereits 10 Prozent vom Dieselansatz aus. Aktuell gibt es 280 Tankstellen in Deutschland, die HVO100 anbieten, europaweit sind es 4.200, wir haben also noch Nachholbedarf, sind aber auch deutlich später mit dem Verkauf in Deutschland gestartet, was politisch ja von einigen Seiten, die einseitig auf E-Mobilität setzen, durchaus gewollt war. Zudem gehe ich davon aus, dass sich der europäische Rahmen für synthetische Kraftstoffe in Naher Zukunft positiv verändern wird. Damit wäre die Tür geöffnet für deutliche Investitionen in diesem Bereich. Mittelfristig können wir so bis zu 40 Prozent der Kraftstoffe auf XTL umstellen.
Welche Position beziehen Sie bei der von Bundeskanzler Scholz gewünschten Ladesäule pro Tankstelle?
Wenn es eine gewünschte Säule wäre, dann wäre ich damit fein, aber hier geht es um den Zwang. Wenn Sie eine Gegend mit vielen Nutzern haben, die privat an ihren Häusern laden und wenig Touristen vor Ort haben: Wer nutzt eine Ladesäule dann an ihrer Tankstelle? Und Ladesäulen sind eine erhebliche Investition: Der Mittelstand zahlt derzeit etwa 1000 Euro pro installiertem KW. Das sind 150.000 Euro für eine moderne Schnelladesäule. Zudem brauchen Sie mindestens zwei Schnelllader, besser vier, da die Kunden immer befürchten, dass mindestens eine bereits belegt ist. Während die Konkurrenz mit neuen Ladeparks an Hochfrequenzstandorten um die Ecke kommt, stellt sich bei uns die Frage, wie sich die Ladesäulen amortisieren sollen. Damit ergibt sich ein erhebliches wirtschaftliches Risiko, das hier politisch erzwungen eingegangen werden muss. Die Ladesäulen-Pflicht ist politisch und regulatorisch schlechtes Handwerk und eher ein Gesetz, dass das Schließen von Standorten garantiert.
Kürzlich wurde Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wiedergewählt. Was kann das für das Verbrennerverbot Ihrer Meinung nach bedeuten?
Das kann das Aus fürs Verbrenneraus bedeuten. Kann. Zwar haben wir den Aussagen der Kommissionspräsidentin und in den Briefings für die Kommissare sehr vielversprechende Dinge mit Blick auf E-Fuels und eine Überarbeitung der geplanten regeln gelesen, diese müssen aber auch so umgesetzt werden. Glücklicherweise ist das entsprechende Portfolio in der Hand von mutmaßlich pragmatischen Kandidaten und die Mitgliedsstaaten scheinen langsam realistischer auf die Umsetzbarkeit der getroffenen Entscheidungen zu schauen. Das ist angesichts von mehr als 90 Prozent Bestandsfahrzeugen mit Otto- oder Dieselmotoren allein in Deutschland, auch angebracht. Realismus ist das Gebot, denn synthetische Kraftstoffe sind angesichts dieser Daten die beste Lösung.
Nicht nur der Mittelstand glaubt an die Zukunft der Branche
Was bedeutet es für den Mittelstand, wenn immer mehr Mineralölgesellschaften ihre Tankstellennetze verkaufen?
Es sieht danach aus, dass sich die Konzerne aus dem eigentlichen Markt herausziehen wollen, also beliefern, den Tankstellenmarktes aber neuen Teilnehmern überlassen wollen. Das kann zu einigen Disruptionen führen. Da aber das Netz von Total von einem Player auf einem anderen Feld übernommen wurde und dieser nun investiert zeigt doch, dass nicht nur der Mittelstand in die Zukunft der Branche glaubt. Ich bin davon überzeugt, dass dabei insbesondere unser flexibler Mittelstand weiter gut performen wird und im Bereich Convenience und Regionalität den Großen ein Schnippchen schlagen kann.
Wie sieht für Sie die Tankstelle der Zukunft (z.B. im Jahr 2050) aus?
Die Tankstelle als nachhaltiges Mobilitätszentrum, in dem Strom und synthetische Kraftstoffe klimaneutrale Mobilität ermöglichen. Sie ist nicht nur Ort, um Energie zu tanken, sondern auch Ort, um selber wieder aufzutanken mit einem nachhaltigen Speiseangebot und Orten zum Verweilen. Zudem ist sie Nachbarschaftstreffpunkt und bietet auch dem LEH durch neue Shopkonzepte echte Konkurrenz. Hier sehen wir jetzt bereits die Tendenzen: Gerade regional sind die bft-Mitglieder sehr gut vertreten beziehungsweise sozial vernetzt und ersetzen die früheren Tante-Emma-Läden.