Feature – Im Gespräch mit Pächter Jörg Tissier

Foto: Jörg Tissier/privat

Tankstellenpächterzu sein, ist eine Sache. Das Geschäft mit Unternehmergeist zu betreiben eine andere. Jörg Tissier hat mit 50 den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt; es war eine Herzensentscheidung. Bis heute ist der Beruf Tankstellenpächter für ihn zugleich Berufung. Auf was es besonders ankommt, erklärt er uns im Interview.

Was hat Sie bewogen, ausgerechnet ins Tankstellengeschäft einzusteigen?

Nach mehr als 20 Jahren als Angestellter, zuletzt als Leiter Rechnungswesen bei einem internationalen Unternehmen, wollte ich etwas Neues machen. Ich arbeite gerne und viel, und es war immer mein Wunsch, selbstständig zu sein. Als ich im Jahr 2017 die Zeitungsanzeige der „Shell Deutschland Oil GmbH“ las, hatte ich gleich das Gefühl: Das passt.    

Hört sich an wie ein Sprung ins kalte Wasser?

Ganz so kalt war das Wasser nicht, denn durch den Beruf meiner Frau, die Finanzbeamtin ist, waren wir zumindest finanziell abgesichert. Was den Pächterjob angeht schon, denn das Tankstellengeschäft musste ich von der Pike auf lernen. Dabei war mir Erol Geyik, der selbst ein erfolgreicher „Shell“-Partner ist und das Geschäft wie seine Westentasche kennt, ein wertvoller Lehrmeister, den ich auch heute noch jederzeit um Rat fragen kann. An seiner Tankstelle durchlief ich alle möglichen Stationen. So bekam ich ein Gefühl für die vielfältigen Aufgaben eines Tankstellenpächters und erfuhr, auf was es ankommt.

Und wie lautet Ihr Fazit?

Die Schlüssel zum Erfolg sind das Personal und die Personalführung. Bei Erol Geyik lernte ich, dass es grob gesprochen zwei Typen von Mitarbeitern gibt: Die einen benötigen klare Strukturen und Ansagen, die anderen können mit Freiheiten besser umgehen und arbeiten selbstständiger. Als Führungsperson besteht meine Aufgabe darin, das zu erkennen und das Personal dementsprechend einzusetzen. Ein Beispiel: In der Spätschicht habe ich jemanden, der angstfrei ist, besser mit Angetrunkenen umgehen kann und nach Dienstschluss die Tanke abschließt. Für die Frühschicht wiederum habe ich eine Mitarbeiterin, die kreativ ist und prima Kaffee verkauft, was zum Beispiel bei einer Kaffeeaktion Gold wert ist.

Um Personal richtig einzusetzen, muss man es erst einmal haben. Wie kommen Sie in Zeiten des Mangels an Fachkräfte?

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich gerne an einen Satz unseres ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Wenn ihr Fachkräftemangel habt, dann bildet Menschen aus. Das machen wir. Zurzeit haben wir drei Auszubildende, zwei werden Verkäufer und eine wird Einzelhandelskauffrau; außerdem bilden wir ab dem 1. Juli eine neue „Shell“-Partnerin aus. 

Foto: Jörg Tissier/privat

Und diejenigen, die da sind, bleiben auch? 

Ich habe zum Beispiel einen Mitarbeiter, der schon längst das Rentenalter erreicht hat und bis heute da ist. Und es gibt ganz viele, die zwischendurch weg waren, um etwas anderes auszuprobieren und jetzt wieder bei uns sind. Nichtsdestotrotz sind Personalwechsel eine Herausforderung, wobei die Wechsel in der Stadt häufiger sind als auf dem Land. Was zählt, ist die soziale Komponente. Wir gehen mit unseren Teams zum Beispiel regelmäßig Grillen oder zum Bowlen und an Weihnachten machen wir unsere Schrott-Julklapp (Wichteln). Das macht allen Spaß, und wir kommen ganz ungezwungen miteinander ins Gespräch. Dadurch kann ich Wichtiges erfahren. Wenn ich weiß, dass jemand Kummer hat wegen einer Trennung oder weil sein Kind gerade durch eine Prüfung gefallen ist, kann ich besser mit der Situation und den Reaktionen umgehen. Das gilt auch prinzipiell für die Einsatzzeiten an der Tanke.  

Haben Sie ein Beispiel?

Wir haben eine Mitarbeiterin, die am Morgen voll engagiert und eine wahre Backshop-Fee ist, aber nachmittags oft fehlte oder sonst unkonzentriert war. Bis ich erfahren habe, dass sie ein Kind mit Behinderung hat, für das sie zwar morgens eine Betreuung hat, nachmittags aber niemanden. Wenn ich das weiß, kann ich die Arbeitszeiten entsprechend anpassen, und das tue ich auch gerne. Aber das erfahre ich eben nur, wenn ich mit meinen Mitarbeitern spreche. Miteinander reden finde ich auch wichtig, um zu lernen.  

Inwiefern?

Weil ich so Dinge erfahre, die ich noch nicht kenne. Deshalb tausche ich mich gerne mit jemanden aus, der einer anderen Generation angehört oder anderer Meinung ist als ich. Denn ich benötige keine Bestätigung meiner Meinung, sondern bin Neuem gegenüber offen. Schließlich ist niemand perfekt, und ich schon gar nicht. Lernen tue ich am besten im gegenseitigen Austausch. 

A propos Lernen, als Tankstellenpächter müssen Sie auf vielen Ebenen kompetent sein. Wie meistern Sie das?

Ich bin ein selbstkritischer und offener Typ. Wenn ich Defizite erkenne, gleiche ich diese durch Lernen aus. Aber ich muss nicht alles gleich gut können. Es gibt in der Warenwirtschaft, bei kaufmännischen und Sicherheitsfragen oder in puncto Personal sicher Kolleginnen und Kollegen, die das um Längen besser können als ich. Darum sind wir als Partner gut vernetzt und treffen uns regelmäßig zum Erfahrungsaustausch. Neben dem Austausch mit Partnern ist mir auch das Feedback von Mitarbeitern und Kunden wichtig, um Dinge weiterzuentwickeln. Deshalb versuche ich, mich so wenig wie möglich am Rechner aufzuhalten und so viel wie möglich draußen an der Tanke zu sein. Ob ein Kunde zu uns kommt oder wegbleibt, darüber entscheiden oft Kleinigkeiten, auch wie die Tankstelle nach außen wirkt.    

Was tun Sie in dieser Hinsicht?

Ich lege Wert auf das optische Erscheinungsbild. Zu Ostern und an Weihnachten sind bei uns die Tankstellen geschmückt. Prinzipiell muss die Waschstraße sauber und der Shop ordentlich und einladend eingerichtet sein. Seit es keine Tante-Emma-Läden mehr gibt, ist die Tankstelle für mich der letzte Sehnsuchtsort. Es gibt Menschen, die dreimal am Tag zum Kaffee trinken kommen, weil sie sich nach Kontakt sehnen.     

Foto: Jörg Tissier/privat

Als Fazit: Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Miteinander reden; ein gewisses Gottvertrauen und ein stabiles Umfeld. Eine meiner Stärken ist auch, dass ich in mir ruhe und Dinge entschlossen anpacke. Als Unternehmer muss ich Entscheidungen treffen. Die mögen nicht immer richtig sein. Aber sich falsch zu entscheiden, ist immer noch besser als gar nicht. Ich finde: Wenn MÖG und Betreiber vertrauensvoll und gut miteinander zusammenarbeiten, erleichtert das auch manche Entscheidungsfindung. Da ist mir die Shell ein zuverlässiger Partner und genau so wenig perfekt wie ich.          

Auf Expansionskurs

Im Mai dieses Jahres kam richtig Bewegung ins Geschäft von Jörg Tissier. Eine Tankstelle in Neumünster schloss zum Ende des Monats für immer ihre Pforten, da Shell den Mietvertrag mit der Eigentümerin des Geländes nicht verlängert hatte. Dem Unternehmergeist von Tissier tat das aber keinen Abbruch. Im Gegenteil: Schon im selben Monat übernahm er zwei neue Tankstellen in Flensburg. Als Geschäftsführer der Tissier GmbH betreibt Jörg Tissier nun aktuell sechs Tankstellen in Deutschlands Norden: eine in Neumünster, zwei in Rendsburg, eine in Schleswig und zwei in Flensburg. Ihm zur Seite stehen derzeit 59 Beschäftigte. Dass er die Angestellten der dicht gemachten Tanke in Neumünster an den anderen Tankstellen weiterbeschäftigt, war für ihn Ehrensache.       

„Die Schlüssel zum Erfolg sind das Personal und die Personalführung.“ – Jörg Tissier

Engagement ist alles

Neben Familie und Arbeit ist immer noch Platz für zahlreiche Tätigkeiten und Ehrenämter. So ließ er es sich als eingefleischter Musik-Liebhaber nicht nehmen, anlässlich der Schließung seiner Tanke in Neumünster ein „Konzert in der Waschstraße“ zu veranstalten. Aufgrund des großen Zuspruchs plant er eine Fortsetzung mit ortsansässigen Schülerbands an einer seiner Stationen in Rendsburg. Darüber hinaus organisiert er Zeltfreizeiten an der Müritz, Nachbarschaftstreffen in seinem Wohnort in Hamburg und das Jahrestreffen seines Abiturjahrgangs. Außerdem ist er im Vorstand einer Stiftung, die im Stadtteil Kinder und Jugendliche fördert.

Rückhalt Familie

Kraftquelle ist für Jörg Tissier seine Familie. Der gebürtige Hamburger ist seit 1998 verheiratet „mit der tollsten Frau im Universum“. Seine Tochter Johanna (26) studiert technische Mathematik und sein Sohn Leif (25) hat gerade seine Masterarbeit in Betriebswirtschaftslehre abgegeben; er ist Handballprofi und seit 1. Juli bei der TSV Hannover-Burgdorf unter Vertrag.


Text: Dr. Georg Haiber

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