Um die Klimaziele zu erreichen und zugleich die Versorgung mit erneuerbaren Energieträgern und Rohstoffen sicherzustellen, muss Deutschland neben der Stromwende nun auch schnell eine Molekülwende in Gang bringen. Die Herausforderungen dafür sind immens. Darauf verwies Prof. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie, beim Kongress „Megatrend Wasserstoff“ in Berlin.
Grüne Moleküle wie CO2-neutraler Wasserstoff und seine Folgeprodukte sind nicht nur überall dort nötig, wo die Nutzung von erneuerbarem Strom in der Mobilität und Wärmerzeugung an Grenzen stößt. Auch als Einsatzstoffe für die industrielle Verwendung, etwa in der Chemie, sind sie von großer Bedeutung oder sogar alternativlos. „Darüber hinaus sind grüne Moleküle auch deshalb erforderlich, weil wir Energie und Rohstoffe auch langfristig zu erheblichen Anteilen werden importieren müssen“, so Küchen. Derzeit führt Deutschland rund 70 Prozent der genutzten Energie ein. Das lasse sich durch erneuerbaren Strom aus heimischen Wind- und Solaranlagen bei weitem nicht ersetzen. Der Leitungstransport von elektrischer Energie über große Entfernungen ist technisch begrenzt. Darum erfordert der Transport erneuerbarer Energie aus dem Sonnen- und Windgürtel der Erde die Umwandlung und Speicherung in Wasserstoff, aber auch dessen Weiterverarbeitung zu Ammoniak, Methanol oder synthetischem Rohöl.
Raffinerien brauchen langfristig viel mehr Wasserstoff
Raffinerien sind heute neben der chemischen Industrie die größten Erzeuger und Verbraucher von Wasserstoff in Deutschland. Entsprechend wichtig ist die von der bisherigen Mineralölbranche eingeleitete Transformation weg von fossilen und hin zu erneuerbaren Rohstoffen. Doch das ist ein anspruchsvolles Vorhaben. „Denn der weit überwiegende Teil des heute in den flüssigen Energieträgern enthaltenen Wasserstoffs stammt aus dem Rohöl selbst. Wenn man dieses Rohöl, also fossile Kohlenwasserstoff-Moleküle, langfristig ersetzen möchte, und stattdessen CO2 als nachhaltige Kohlenstoffquelle nutzt, steigt der Wasserstoffbedarf für deren synthetische Herstellung gegenüber heute um Größenordnungen an“, berichtete Küchen.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Mengen an Wasserstoff in Deutschland aus erneuerbarem Strom erzeugt werden können. Daher muss ein großer Teil des Wasserstoffbedarfs in Form von Methanol oder synthetischem Rohöl importiert werden. Dies sei auch deshalb sinnvoll, da für viele Anwendungen ohnehin Kohlenwasserstoffe, somit auch Kohlenstoff, benötigt würde. Zusätzlich zur Produktion in Deutschland sei daher der Aufbau eines globalen Marktes für nachhaltige Kohlenwasserstoffe oder Methanol erforderlich. Aber auch für erste industrielle Produktionsanlagen in Deutschland werden solche Mengen an Wasserstoff benötigt, dass für den Übergang neben „grünem“ Wasserstoff auch „türkiser“ und „blauer“ Wasserstoff anerkannt werden müsse. „Um künftig im notwendigen großtechnischen Maßstab grüne Moleküle bereitstellen zu können, brauchen wir neben CO2-neutralem Wasserstoff zudem auch nachhaltige Kohlenstoffquellen. Das können CO2, Biomasse und zu recycelnde Kunststoffe sein. Die Möglichkeiten zur Nutzung dieser Rohstoffe sollten systematisch betrachtet und weiterentwickelt werden“, so Küchen weiter.
Um die notwendige Molekülwende auf den Weg zu bringen, sei nun insbesondere die Politik gefordert. Sie müsse den Bedarf endlich anerkennen und mit angemessenen und verlässlichen Rahmenbedingungen Anreize für die dringend erforderlichen Investitionen schaffen. „Die Molekülwende ist herausfordernder als die Stromwende und kommt seit Jahren nicht voran. Um das zu ändern, ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen erforderlich. Dazu gehört, Zukunftsprojekte für die Produktion von CO2-neutralen Molekülen im industriellen Maßstab langfristig finanziell zu unterstützen, um höhere Kosten und technologische Risiken am Beginn der Lernkurve auszugleichen. Weitere wichtige Maßnahmen sind der Ausbau der Infrastruktur für Import und Verteilung samt Anschluss der Raffinerien an die Netze für Hochspannungsstrom, Wasserstoff und CO2. Auch die Weiterentwicklung internationaler Energiepartnerschaften sowie eine langfristig ausreichend hohe CO2-Bepreisung sind von großer Bedeutung.“