DHBW Heilbronn – Rückblick “Retail Innovation Days”

Foto: DHBW Heilbronn

Zwei Tage verwandelte sich Heilbronn zum Treffpunkt der deutschen und europäischen Smart-Store-Branche. In 24 Vorträgen erörterten und diskutierten 30 Redner aus 28 Unternehmen die Zukunft des autonomen Einkaufens. Alle waren dabei – vom Big Player Zabka Polska bis hin zur Individuallösung von der Metzgerei aus dem Saarland, vom Startup bis zum globalen Technologieanbieter. Mit zunehmendem Personalmangel ist diese Nische – egal ob als Grab and Go, Automated Box, Walk-In oder Automatenshop – aus der Handelslandschaft nicht mehr wegzudenken.

Seit über zweieinhalb Jahren begleitet die DHBW Heilbronn mit ihren Experten Prof. Dr. Stephan Rüschen und Julia Schumacher das Thema Smart Stores 24/7 – auf dem Bildungscampus, in direkter Nachbarschaft zur Shop.box und Collect.box. Entstanden sind mittlerweile 30 Projekte mit den Studierenden des Studiengangs BWL-Handel, Social-Media-Präsenzen auf Instagram, LinkedIn, YouTube und Tiktok, eine eigene Webseite, 13 Podcasts, vier Whitepaper und die berühmte Liste, die ständig aktualisiert wird und jede Entwicklung akribisch dokumentiert. Rüschen und Schumacher eröffneten die Retail Innovation Days mit dem Wunsch, dass Betreiber und Technologie-Anbieter vor allem voneinander lernen, sich austauschen und vernetzen. „Wir wollten Heilbronn für 2 Tage zum Mekka der Smart Store24/7-Community machen. Das ist uns gelungen”, eröffnete Rüschen die Retail Innovation Days der DHBW Heilbronn.

Smart Stores

Smart Stores sind unbemannte Stores, die im Normalfall 24/7 betrieben werden, eine kleine Verkaufsfläche haben und bei denen man bargeldlos zahlt. Alle Smart-Store-Konzepte mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen bieten Lösungen für dringende Probleme im Handel: den Personalmangel, die Unterversorgung der ländlichen Gebiete, ein sich änderndes Konsumverhalten und verwaisten Innenstädten. Trotz einem verhaltenen deutschen Markt und einem skeptischen deutschen Konsumenten hat sich die Nische etabliert: Mittlerweile gibt es deutschlandweit über 80 verschiedene unbemannte Smart Store Konzepte und fast wöchentlich kommt ein neuer hinzu.

Grab and go – der Mercedes unter den Smart Stores
Ob sich die Grab-and-go Konzepte in Deutschland durchsetzen werden, weiß keiner. Denn bisher befinden sich diese Lösungen immer noch in der Experimentierphase. Auch im Nachbarland Österreich ist das Echo am Markt eher schwach: Hauptsächlich kleine Händler haben eigene Lösungen entwickelt und verkaufen vor allem regionale Produkte über Automatenshops oder per Self-Check-Out, wie Marina Staab von der FH Steyr, Absolventin der DHBW-Heilbronn und Preisträgerin des Goldenen Zuckerhuts, in der aktuellen Studie gemeinsam mit der DHBW Heilbronn feststellte.

Der Kunde ist König
Christoph von Lingner vom Anbieter GK Software SE sieht vor allem in der Verbindung mit Loyality-Programmen eine große Chance: Die installierte KI kann dem Kunden genau zur richtigen Zeit die richtigen Produkte anbieten. Vorstellbar sind Push-Nachrichten aufs Handy mit Coupons für Haustierbesitzer, saisonale Angebote oder das Upselling von neuen Produkten.

Mit über 60 Stores in ganz Europa ist Zabka Nano unangefochten die Nummer eins auf dem Kontinent. Mit einer ständigen Anpassung ihrer Sortimente an die Kundenprofile und Standorte (Sportgeschäft, Fitnessclub, Wohnheime, U-Bahn), einer konsequenten Auswertung des KI-Feedbacks und einer Vereinheitlichung des Store-Layouts hat Zabka geschafft, woran andere noch arbeiten: geringe Betriebskosten und eine hohe Kunden-Loyalität. Das zeigt sich im höchsten Net-Promoter-Score in der Branche. Und treue Stammkunden helfen mittlerweile den Neulingen die Technologie zu verstehen, wie Pawel Grabowski von Zabka erläuterte.

Rasante KI-Entwicklung treibt den Markt
James Sutherland (CEO von Autonomo in Hamburg) ist davon überzeugt, dass der technologie-skeptische Deutsche lernfähig ist. Sein muss – denn mittlerweile erobern neue KI-Entwicklungen alle ein bis zwei Monate den Markt. Eine Entwicklung, die von allen Branchen – da ist sich Sutherland sicher – vor allem den Handel treffen wird. Mittlerweile kann die KI in den unbemannten Stores Vorgänge abbilden, die vorher nicht denkbar waren: Indem die KI das Produkt konsequent einer Person zuordnet, ist es auch möglich zu erkennen, wenn das Produkt von einer Person zu einer anderen weitergereicht wird. Mit einer Kombination aus maschinellem Lernen, Bilderkennungssoftware und Sensoren ist die KI von Autonomo außerdem in der Lage, täglich 5-15 Verbesserungen anzustoßen.

Standortfaktor entscheidet
Wenn man auf dem Land wohnt, muss man oft weite Wege zurücklegen, um zum nächsten Supermarkt zu gelangen. In Deutschland sind inzwischen mehr als 8.000 ländliche Gebiete unterversorgt. Um die Lücke zu füllen, ersetzt Tante Frieda 24/7 mittlerweile den alten Tante Emma Laden. Jan Stroh von der Fleischerei Stroh startete im Saarland das Experiment mit zwei verschiedenen Smart-Store-Konzepten. Doch der vollautomatisierte Container in Theley erreicht noch nicht die benötigte Frequenz. Ganz anders der 24/7 Supermarkt in Wahlen: Der kommt an – auch bei den Senioren, für die extra ein Nottelefon eingerichtet wurde. Damit auch Oma Frieda- die Ideen- und Namensgeberin des Projekts – ohne technologische Barrieren einkaufen kann.

Doch nicht nur als Nahversorger auf dem Land, sondern als Anziehungspunkt in der Innenstadt können Automated Boxes funktionieren. Im Zentrum von Offenburg starteten Jonas Dübon von EDEKA Südwest und Matthias Kurz von KNAPP Smart Solutions einen erfolgreichen Piloten: Ob für das Tinder-Date, den Noteinkauf oder die spontane Grillparty – die Produkte aus der Box gehen vor allem freitags und am Wochenende. „Das Produkt Nummer eins ist Paulaner Spezi“, so Dübon. Während der Kunde auf die Einkäufe wartet, kann er dem Roboter durch eine Glasscheibe beim Arbeiten zusehen. Dübon ist überzeugt: „Der Einkauf fühlt sich für den Kunden schneller an“, und ergänzt: „Mittlerweile ist der Greifarm auch zur Attraktion für Kinder geworden.“ Obwohl die Automated Box eine andere Zielgruppe als die Wochenendeinkäufer mit einem Durchschnittsbon von 200 Euro anspricht, sehen Dübon und Kurz hier einen Wachstumsmarkt: Gerade in Verbindung mit dem Online-Store ist die Box noch ausbaufähig. Momentan nutzen die Kunden den Onlineshop allerdings eher als Schaufenster als zur Vorreservierung.

Sortiment – auch hier entscheidet die Lage, Lage, Lage
Auch bei Smart Stores sollte man das Sortiment und die Platzierung nicht dem Zufall überlassen. Sebastian Probst und Marcus Kraus von Ferrero Deutschland sind Experten für den Vending Markt. In Kooperation mit Smartstore-Betreibern haben sie vor das Sortiment innerhalb des Stores analysiert und erste Verbesserungen vorgenommen: Gerade Artikel für Spontankäufe- so wie Süßigkeiten – sollten in den Regalen auf Augenhöhe liegen. Produkte wie Drogerieartikel und vegane Gerichte sind sogenannte „Suchartikel“ und werden auch in den unteren Regalen gefunden und gekauft.

Unendliche Möglichkeiten
Auch MCS mit seinem CEO Torsten Eichinger hat den Offenburger Markt für sich entdeckt. Die Box steht allerdings im Gewerbegebiet und das brachte Überraschungen in der Zielgruppe mit sich: nicht die MCS-Firmenmitarbeiter, sondern die LKW-Fahrer der umliegenden Speditionen sind mittlerweile Hauptabnehmer. Aber auch die Partygänger der Clubszene versorgen sich gern nachts mit Bifi, wenn alle anderen Läden geschlossen sind. So ergaben sich für das Betreiberteam der MCS-Azubis und dualen Studierenden ganz neue Möglichkeiten: Die Box ist mittlerweile Testmarkt für brandneue Energy-Drinks, die noch vor Markteinführung dort erhältlich sind. Eichinger ist überzeugt: „One size fits all funktioniert nicht.“ Ganz im Gegenteil: Wer neue Märkte erschließt, muss sich anpassen. Aber dann sind den Smartstores keine Grenzen gesetzt: Ob Waschanlagen, Tankstellen, Autohöfe oder der Kiosk um die Ecke – die Nachfrage nach autonomen Lösungen wird wachsen.

Mehr über die Nutzer lernen
Dr. Claudia Armbruster, Vice President Innovation beim Einkaufswagenhersteller Wanzl, ist sich sicher: Smart Store-Konzepte können nur dann funktionieren, wenn von Anfang an der Nutzer mit seinen individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt stehe. „Wir müssen mehr über den Nutzer lernen, ohne in die Privatsphäre des Nutzers einzudringen“, beschreibt sie die Herausforderung. Denke man die Automatisierung zu Ende, müsse man sich fragen, ob wir in Zukunft überhaupt noch einkaufen gehen werden. „Der Endnutzer will ein Vollsortiment“, daher müsse man auch über hybride Lösungen nachdenke, z.B. frische Produkte vor Ort, eine Abholmöglichkeit oder den Versand der restlichen Waren. Handelsexperte Prof. Dr. Stephan Rüschen, Initiator und Moderator der Retail Innovation Days, gibt zu bedenken: „Die Welt ist nicht immer so disruptiv, wie wir das auf der Bühne vermuten“. Die Kunden würden häufig nur sehr langsam ihr gewohntes Verhalten ändern und sich an eine neue Art des Einkaufens gewöhnen.

www.heilbronn.dhbw.de
Eine Nische boomt – Zur Zukunft der Smart Stores 24/7 mit dem RID-Special der DHBW Heilbronn

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